Ein sonniger Morgen – mit einer Tasse Tee inspiziere ich meinen Garten- wie ich es immer tat, und doch ganz anders. Denn ich bin jetzt an einem anderen Ort- unfreiwillig umgezogen- mitsamt der 50 Strauchrosen.
Das sind sie nun, mit nackten Wurzeln in anderer Erde. So wie ich.
Seit einer Weile zeigen die Rosen erstes Grün, zart und zögernd. Ich hatte seit Wochen darauf gewartet, hatte gebangt und ihnen gut zugesprochen. Eine Rosencheerleaderin – los, ihr schafft das! Heute werde ich still. Staunen in mir. Ich höre ihnen zu.
Sie sagen:“Ja, wir machen das- aber in unserem Tempo. Als erstes muß die Kraft in die Wurzeln gehen. Das dauert. Und dann sprießen wir nur so weit nach oben, wie es von der Wurzelkraft her möglich ist. Wir balancieren das“
Aha. Ich schäme mich ein wenig, sie so angespornt zu haben. Und mich selbst auch. Und atme aus. Es ist ok. Als Menschen lernen wir schon früh, dass wir uns anstrengen müssen, dass Wachstum und Stärke nur mit Leistung funktionieren.
Ich lausche noch tiefer, setze mich auf die Erde, ganz nah an die gestutzten Ästen der Rose de Resht, sehe die hellgrünen kleinen Triebe, sie wirken sehr fragil. „Ja,“ sagt die Rose, „tief in uns gibt es beides, Verletzlichkeit und Kraft. Sie gehören zusammen. Das eine geht nicht ohne das andere. Sie müssen in Balance sein. Dann erzeugen sie eine lebendige Vibration, kannst Du das fühlen? “
Tatsächlich spüre ich in mir eher, wie es sich anfühlt, wenn sie NICHT vibrieren. Am Pol der Fragilität zu sein, ohne Kontakt zu meiner Kraft- das kenne ich gut. Hoffnungslos, verzweifelt, ein Opfer ohne Chance. Und auch andersrum- am Pol der Kraft ohne Kontakt zu meiner Verletzlichkeit- mich angestrengt verrennen, verzetteln, nur noch funktionieren.
Aha. Wie würde es sich anfühlen, wenn beides in mir balanciert wäre? Wenn ich meine menschliche Fragilität weder verleugne noch in sie hineinstürze? Wenn ich meine Kraft weder verleugne, noch sie ausbeute?
Ich stelle mich wieder hin, richte mich auf und frage nochmal nach, bei den dornigen Damen. Sie verstehen die Frage nicht. Sie kennen dieses Problem nicht. Sie sind lebende Balance.
Es ist ein menschliches Thema.
Die knorrige Maidens Blush, die bislang nur eine einzige winzige Knospe hat, versucht es: „ Antje, sieh mich an. Die Verwundbarkeit ist in meiner knorrigen Kraft und umgekehrt- sie sind keine Gegensätze - das eine ist im anderen.“
Ich erahne es ein wenig.
Meine Kraft, sie ist einfach da – ein Lebensdrang. Meine Fragililät, sie ist einfach da – eine Offenheit.
Ich recke und strecke mich, bedanke mich bei den weisen Rosen – und nehme dieses Erlebnis mit in den Tag, in meine therapeutische Arbeit. Wie gut, dass die Naturtherapie auch in meinem neuen Garten einfach weitergeht.
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